Denken, Lernen und Stillsitzen sind in unserer Kultur anscheinend untrennbar miteinander verbunden. Dabei wird vernachlässigt, dass körperliche Bewegung die geistige Mobilität günstig beeinflusst.
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Friedrich Nietzsche hatte bei seinen Wanderungen viele philosophische Einfälle, in «Menschliches, Allzumenschliches» schreibt er: «Wer nur einigermassen zur Freiheit der Vernunft gekommen ist, kann sich auf Erden nicht anders fühlen, denn als Wanderer, — wenn auch nicht als Reisender nach einem letzten Ziele: denn dieses gibt es nicht.» Heute hat sich diese Devise fast umgedreht: Wenn man sich quasi bewegungslos auf einem fest geschraubten Stuhl von A nach B fliegen lässt, steht einzig das Ziel im Vordergrund.
Dass das Stillsitzen beim Lernen geistiger Inhalte nicht dienlich ist, zeigt sich daran, wie schnell das Aufgenommene wieder vergessen wird. Obwohl dank vieler Untersuchungen bekannt ist, dass in Bewegung nachhaltiger gelernt wird, setzt sich in den meisten Staatsschulen nach wie vor der Frontalunterricht sitzend am Pult durch. Dabei leuchtet es doch ein, dass das Lernen in Bewegung die beste Prävention gegen zunehmenden Bewegungsmangel, Konzentrationsschwierigkeiten und Übergewicht bei Kindern darstellt. Anstatt die Kinder (...) der Struktur anzupassen, wäre die Veränderung eines unangemessenen Angebots eine gesündere Lösung. Es gibt bereits ältere pädagogische Konzepte, die Bewegung in den Schulalltag selbstverständlich integrieren, etwa nach Rudolf Steiner oder Maria Montessori. Das Bundesamt für Sport hat mit «Schule bewegt» ab 2005 ein Bewegungskonzept für die Staatsschule realisiert, aber wegen Sparmassnahmen wurde dieses Anfang 2017 wieder gestrichen.
Denken und Sprechen sind nicht statisch
Wie kommt es, dass diese Idee des Lernens im Stillsitzen seit so langer Zeit dominiert? Eine Antwort magdie traditionelle Körper-Geist-Trennung liefern, die sich über Jahrhunderte durchsetzte und von Joseph Beuysmit dem schönen Ausspruch «Ich denke sowieso mit dem Knie» unterwandert wurde. Unser Körper ist immer Teil unserer Ausdrucksmöglichkeiten. In philosophischen Traditionen erschien er aber wie ein überflüssiges Anhängsel, das mit seinen niedrigen Bedürfnissen vom ernsten Denkgeschäft ablenkt. Rodins berühmter Denker, der seinen schweren Kopf in seine Hand stützt, demonstriert die Vorstellung, dass Denken eine statische, ernste, vornübergekrümmte, männliche Angelegenheit sei. Diesen Gedanken stellt die Philosophin Judith Butler im Buch «Cluster» über das Tanzstück von Sasha Waltz infrage: «Denn wir sprechen, jedoch sitzend. So stellen wir uns zu einem gewissen Grad still, machen uns unbeweglich, um zu sprechen. (...) Wenn wir sprechen, dann ordnen wir die Bewegung dem Sprechen unter, weil wir davon ausgehen (...), dass die Bedeutungen, die zu übermitteln sind, durch Worte übermittelt werden. (...) In diesem Falle wäre Sprechen die Bewegung eines Körpers, der so tut, als ob das Sprechen keine Bewegung sei.»
Das Sprechen formt sich ja letztlich aus einer Denkbewegung. Das
Paradoxe ist: In der Hektik des allzu mobilen Tagesgeschäfts fehlt die
Ruhe, die uns auf einem Spaziergang oder im verträumten Nachsinnen
innerlich aufwecken kann. Das Irritierende springt uns unvermutet
an, aber nur, wenn wir die nötige Musse haben: das, was uns verwirrt,
weil wir es vorher noch nie bemerkt haben. Ein Geräusch, ein fremdes
Gesicht, ein seltener Vogel, alles, was uns daran erinnert, dass
auch wir im Grunde nicht jeden Winkel unseres Inneren bereits
kennen. Geistige Mobilität ist so gesehen die kreative Suche
nach Sinn und Versprachlichung, das Entwirren diffuser Gedankenbündel.
Der Schriftsteller Robert Musil schreibt in seiner Novelle «Die
Amsel» den denkwürdigen Satz: « ...wenn ich den Sinn wüsste, so
brauchte ich dir wohl nicht erst zu erzählen.» Anfügen können wir
dem noch: Und wüsste ich, wohin ich mich bewege, so bräuchte ich mich
nicht auf den Weg zu machen.
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